Missbrauchsskandal

Sex-Affäre: Auch Pröll ist ein Opfer

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Emotionaler Auftritt der Jahrhundertsportlerin vor Gericht. Moser-Pröll kämpft um ihren Ruf.

Es sind hochdramatische Momente im Gerichtssaal, als Annemarie Moser-Pröll in den Zeugenstand tritt. Es ist bereits nach 21 Uhr, mehr als sieben Stunden dauert der Prozess im Bezirksgericht Bludenz schon, da bricht es aus der ehemaligen Skilegende heraus: „Das ist nicht mehr normal. Erstunken und erlogen. Mir steht es bis hier!“

Minderjährig

Die bewegende Aussage der ehemaligen Olympiasiegerin ist der Höhepunkt einer emotional aufgeschaukelten Verhandlung, in der ungeheuerliche Vorwürfe erhoben werden. Der Schlimmste: Karl „Downhill Charly“ Kahr (86), früherer Trainer Moser-Prölls und spätere Begründer des österreichischen Abfahrtswunderteams der 1970er-Jahre, soll Annemarie Moser-Pröll missbraucht und entjungfert haben, als sein Schützling erst fünfzehn Jahre alt, also noch minderjährig war. Das behauptet jedenfalls Ingrid Gfölner (65), ebenfalls ehemalige Skiläuferin und Ex-Kol­legin von Moser-Pröll. Beide Betroffenen, sowohl Kahr als auch Moser-Pröll, dementieren heftig. Für Kahr gilt die Unschuldsvermutung.

WhatsApp

Der Reihe nach: Charly Kahr tritt in diesem Prozess eigentlich als Kläger auf. Er hat ihn angestrengt, weil er sich von Gfölner verleumdet fühlt. Diese hatte in WhatsApp-Nachrichten an Moser-Pröll die Vorwürfe erhoben. Weil Moser-Pröll Kahr gegen Anschuldigungen in Schutz genommen und nach den Enthüllungen von Nicola Werdenigg behauptet hatte, in ihrer aktiven Zeit wären ihr keine Missbrauchsfälle aufgefallen, hatte ihr Gfölners Ehemann am Silvesterabend 2017 eine Nachricht geschickt. Inhalt: Sie solle sich schämen, Kahr in Schutz zu nehmen. Der hätte gemeinsam mit Toni Sailer „viele Mädchen missbraucht und gebrochen“.

Moser-Pröll ruft Ehepaar 
zu: "Schamt’s eich!"

Eine besonders brisante Botschaft schickte Ingrid Gfölner hinterher – ein Foto von Kahr mit dem Text: „Dein Entjungferer Charly. Du warst noch keine 16 Jahre alt.“

Vergewaltigungsversuch

In den Einvernahmen präzisiert das Ehepaar Gfölner die Vorwürfe. Der Ehemann sagt aus, seine Frau hätte ihm erzählt, wie sie selbst zum Opfer von Kahr geworden war. Er hätte sie zum Oralsex zwingen und betrunken vergewaltigen wollen. Insgesamt sechs Frauen hätte Kahr missbraucht. Drei hätten danach ihre Karriere beendet, eine wolle anonym bleiben, hätte aber bereits bei der Staatsanwaltschaft ausgesagt.

„Wehgetan“

Ingrid Gfölner bestätigt ihren Mann und erklärt ihre WhatsApp-Message. Im Jänner 1969 hätte ihr die damals noch 15-jährige Annemarie Pröll anvertraut, Kahr hätte sich an ihr vergangen und sie „entjungfert“. „Es hat mir schon wehgetan“, hätte sie gesagt. In einem Telefongespräch, das die beiden nach den WhatsApp-Nachrichten geführt hätten, soll Pröll Gfölner gestanden haben: „Ich habe ihn geliebt.“

Kahr, der als Nächster vor Richterin Daniela Flatz aussagen muss, ist sichtlich geschockt und dementiert mit aller Vehemenz. Immer wieder sagt er: „Das stimmt nicht.“ Er habe nie eine Frau vergewaltigt, hätte nie Sex mit einem seiner Schützlinge gehabt: „Ich habe nicht auf so einem Niveau gelebt.“

Schlaflos

Dann die lang erwartete Stellungnahme von Annemarie Moser-Pröll. Vor dem Gerichtsgebäude hatte sie noch für die Kameras gelächelt, jetzt ist sie ernst, wirkt aufgewühlt. Auch sie dementiert erwartungsgemäß. Doch dabei lässt sie es nicht bewenden. Sie gibt Einblick in die Tiefe ihrer Seele. Seitdem sie die WhatsApp-Nachrichten bekommen hat, hätte sie schlaflose Nächte. „Mir ist die Lebensfreude genommen.“ Sie wendet sich an das Ehepaar, das die Vorwürfe erhoben hat: „Einen Kahr, eine Jahrhundertsportlerin und einen Toni Sailer, der unter der Erd’ is’. Warum patzt ihr sie an? Was ist in dich gefahren, Ingrid?!“ Sie schleudert ihnen entgegen: „Schamt’s eich!“

Was auch immer vor 50 Jahren passiert ist – eines steht fest: Der Skiskandal hat ein weiteres prominentes Opfer.

Und der Albtraum geht weiter. Richterin Flatz vertagt nach Moser-Prölls Aussage. Kahrs Anwalt Manfred Ainedter will als Entlastungszeuginnen Monika Kaserer und Brigitte Totschnig bringen. Aber auch weitere Missbrauchs­opfer sollen aussagen.

Sie brachte die ÖSV-Affäre ins Rollen

Alles begann mit Nicola Werdenigg (geb. Spieß), die mit einem Interview die Affäre um sexuelle Übergriffe im österreichischen Skisport ins Rollen gebracht hatte. Die ehemalige Spitzenläuferin berichtete über Missbrauch durch Trainer, Betreuer und Lehrer. Heute sagt sie: „Es tut mir sehr leid, dass dieses Verfahren so aus dem Ruder gelaufen ist. In erster Linie, weil die Intimsphäre der anwesenden Frauen auf ekelhafte Weise verletzt wurde.“

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